Als sie die Tür aufschließt, kommt ihr schon ihr dicker Kater Lorenzo entgegen. Das erste Mal an diesem Abend empfindet sie wahre Freude. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, als sie den Kater hochhebt.

Sie gräbt ihr Gesicht in das weiche Fell des Tieres, ihre blonden Locken und die schwarzen Fellfransen des Tiers verschmelzen zu einem. Sie atmet zweimal tief hinein. Zuhause. Endlich zuhause. Die High Heels landen in der Ecke, die kleine Lederhandtasche bleibt am kalten Boden liegen. Während Lorenzo neugierig an den Utensilien schnuppert, begibt sie sich in das Bad und lässt Badewasser ein. Wenig später sinkt sie in das warme Nass. Wärme, das braucht sie jetzt. Seufzend schließt sie die Augen.

„Ich würde mich freuen, wenn wir uns wiedersehen“, hatte er zum Abschied gesagt. Sie hatte freundlich genickt und ein „gute Nacht“ in die kalte Luft gehaucht. Dann hatte sie sich umgedreht und war gegangen.

Anfangs, da hatte sie noch Erklärungen gesucht. Sie wollte höflich sein, nett, so gut es geht, wenn man jemanden sagt, man möchte ihn nicht wiedersehen. Also sagte sie Sätze wie: „Es passt leider irgendwie nicht.“ „Tut mir leid, du bist nett, aber ich glaube, mehr als Freunde ist nicht drin.“ Bis sie bemerkte, dass sie die einzige war, die Absagen ehrlich formulierte, ja überhaupt welche gab. Das Gros der Leute, die sie traf, gab keine. Aus den Augen, aus dem Sinn. Also hatte sie sich angepasst. Das höfliche – meist aber eher das verletztende – Schweigen als Alternative gewählt. Das Gegenüber wird’s schon merken. Das taten sie meistens, nicht immer sofort, aber irgendwann doch.

Bei dem Gedanken verdreht sie die Augen. Ihre Hände lassen das heiße Wasser über ihr Gesicht laufen. Make-Up-Reste lösen sich. Ein schwarzes Rinnsal aus Wimperntusche bahnt sich seinen Weg und verteilt sich im Badewasser.

Sie hatte nette Männer getroffen. Keine Frage. Zwischendrin waren da immer wieder Hoffnungsschimmer aufgetaucht. Abende, an denen sie lachte, Spaß hatte und nicht einmal auf die Uhr blickte. Trotzdem hatte es auf kurz oder lang nie geklappt. Sie erinnerte sich noch an Jens, mit dem sie mehrere Dates hatte. Jedesmal wünschte sie sich, die Abende würden nicht enden. „Lass uns noch was trinken!“, fragte sie oft hoffnungsvoll. „So viel du willst“, strahlte er und umarmte sie. Seine Aura und Wärme hatte sie in kürzester Zeit erfasst. Mit Jens war es eine Zeit lang gut, ja, sie hatte sogar kurzzeitig gewagt, in eine Zukunft zu schauen. Bis er sich doch umentschied und einer anderen Frau das Go gab. Erfahren hatte sie das natürlich nicht von ihm. Die plötzliche Funkstille hatte ihr ein ungutes Gefühl beschert, das Treffen von Jens und einer wasserstoffblonden Miss-Bielefeld auf dem Wochenmarkt wenige Wochen später war nur die fehlende Bestätigung gewesen.

„Oh hi.“ „Hi.“ „Wie geht es dir?“ „Ganz gut, und dir“, sein Blick fiel auf den Boden, die Frau an seiner Seite wurde unruhig. Sie selbst nestelte an den frisch gekauften Selleriestangen in der Korbtasche herum. „Ja, mir geht es sehr gut, also dann noch einen schönen Tag“, presste sie aus sich heraus und lächelte gequält, dann drehte sich um. „WER war denn das?“, hörte sie noch von Weitem von der Unbekannten.
Na, auf die Erklärung war sie gespannt. Ihre Muskeln entspannten sich wieder, zurück blieb trotzdem eine Leere. „Das musste ja irgendwann in diesem Kaff passieren.“

Jens war gut. Nicht gut genug, aber er hatte nach Jahren erstmals Hoffnungen geweckt.

Es folgten weitere Dates, an die sie jedoch mit Schaudern zurückdachte. Männer, die von ihrer Eulen-Sammlung erzählten, Traumata mit der Ex-Freundin analysierten haben wollten oder einfach nur zu viel tranken und ausfallend wurden, wenn sie beim Abschied darauf bestand, alleine nach Hause zu gehen. Abende, an denen sie nach den ersten Sekunden mit den Gedanken abschweifte, sich zurück auf ihr bequemes Ledersofa wünschte, eine Tasse Tee trinken wollte, während sie den flauschigen Lorenzo streichelte und Netflix auf dem Fernseher flimmerte. Stattdessen saß sie in der Dorfbar und lauschte Sätzen, die sie nicht interessierten.

„Warum muss ich eigentlich daten?“, fragt sie sich, als sie aus dem heißen Wasser auftaucht und ihre blonden Locken einshamponiert. „Mein Leben ist gut, wie es ist. Ich bin gerne allein.“ Als sie ihre Haare ausspült, springt der Kater aufs Waschbecken, schaut interessiert zu. „Vielleicht nicht ganz allein“, lacht sie laut auf. Es ist eine Mischung aus Hysterie und Verzweiflung. Lorenzo erschrickt und verlässt das Badezimmer. Man kann es ihm nicht verdenken. Die nassen blonden Locken nach oben gezwirbelt, bleibt sie noch im heißen Wasser liegen. Nur das leise Tropfen des Duschkopfs durchbricht die nächtliche Stille.

Die Gesellschaft um sie herum erwartete, dass sie endlich jemanden fand. Acht Jahre Single-Dasein waren offensichtlich genug. Da war ihre Mutter, die fast wöchentlich nach dem Männer-Befund fragte. „Na Schatz, wie läuft es so an der Männerfront?“ Mittlerweile wusste sie, diese Frage gut zu umschiffen. Ihr Vater hielt sich dezent zurück, aber da war dieser Blick, wenn sie wieder einmal allein zu einer Familienfeier auftauchte. Ihre Brüder zogen sie immer wieder auf, das Vorstellen der eigenen Freunde hatten sie glücklicherweise nach zwei Jahren aufgegeben. Ehrlicherweise hatte sie auch so jedes arrangierte Date vergrault. Verkuppelt werden, also nein, dafür war sie nun wirklich nicht gemacht. Aber auch ihre Freunde wurden immer häuslicher, allein in diesem Jahr war sie auf zwei Hochzeiten eingeladen und allein dahin gehen, das wollte sie nun wirklich nicht. Gründe fürs Dating und der Suche nach dem Einen gab es also mehr als genug. Die Sehnsucht nach Zweisamkeit war fast schon in den Hintergrund gerückt. Nur diese nervigen Fragen endlich beantworten können, sich selbst die Frage nach dem Warum beantworten können.

„Verrückt, wirklich verrückt“, denkt sie. Sie schließt die Augen, das warme Wasser schwappt um ihren 38 Jahre alten Körper herum, der Schaum trocknet langsam. Auch wenn ihre Haut langsam schrumpelt, nur noch ein paar Minuten. Diese Wärme, sie tut so gut.

Das Handy vibriert. Ihre nasse Hand greift an den Badewannenrand. „Danke für den schönen Abend, was machst du nächsten Dienstag?“ Ein gutes Zeichen könnte man sagen. Für sie nur eine Art Ballast.

Der Abend war viel zu schleppend gewesen. Martin – oder hieß er doch Matthias? – hatte nur von sich erzählt, die wenigen Nachfragen bezogen sich meist auf ihr Äußeres. „Du machst viel Sport, nicht?“ „Eigentlich kaum“, hatte sie gelangweilt geantwortet. Irritiert hatte er sie angesehen, während sie an ihrem Weißweinglas nippte. Dann hatte er aber wieder irgendeine Geschichte erzählt. „Wusstest du, dass ich seit ein paar Jahren segle?…“ Sie hatte gar nicht mehr richtig zugehört, sondern die Schnapsflaschen im Regal der Bar begutachtet und im Kopf die Erledigungen für den nächsten Tag sortiert. Hin und wieder hatte sie ein „Mhmm“ von sich gegeben, das hatte dem Mann mit M gereicht.

„Wie unterschiedlich doch Empfindungen und Eindrücke einer Situation sein können“ Sie schüttelt den Kopf. „Empfänger löschen und blockieren.“ Diese Message sollte reichen. Keine Antwort ist ja heutzutage auch eine. Erleichtert fühlt sie sich trotzdem nicht. Sie legt das Handy weg und taucht mit dem Kopf unter.

Unter Wasser hört sie es wieder. Ihr Handy vibriert erneut. „Bitte nicht.“
Ein Blick aufs Handy zeigt: Ein neues Match hat geschrieben. Um 00.22 Uhr. Felix, 42. „Na, wie war dein Freitagabend?“ Ihre nassen Hände trocknet sie am Handtuch ab. Dann nimmt sie das Handy in die Hand. „Katastrophe“, tippt sie. Dann löscht sie das Wort wieder. „Mein Abend war grandios, und deiner?“ Die Wahrheit will doch sowieso niemand wissen, denkt sie noch, als sie wieder abtaucht ins lauwarme Wasser. „Lassen wir die Spiele also von vorne beginnen.“

Foto: Unsplash/Iz&Phil

Posted by:antoniawille